Inside Matura Talenta Sport – Interview mit Ladina Amherd und Noe Eigenmann

Seit geraumer Zeit bietet die Kantonsschule Romanshorn Schülerinnen und Schülern mit besonders grossem Interesse an zeitintensiven extracurricularen Interessen die Möglichkeit, sich im Rahmen des Matura-Talenta-Programms in jenen zu entfalten. Schülerinnen und Schüler können sich in den Bereichen Informatik, Bildnerisches Gestalten, Musik und Sport für die Talenta anmelden. Die Talenta Sport ist die etablierteste und auch grösste Gruppe. Im Interview mit Ladina Amherd und Noe Eigenmann erfahren erhalten wir Einsicht in das Programm und die Erfahrungen der Teilnehmenden.
Mittwoch, 21. Mai 2025
Ladina, Noe, erzählen Sie uns ein bisschen über sich selbst: Seit wann sind Sie an der KSR? In welcher Klasse sind Sie? Wie sind Sie an die Kanti gekommen? Welches ist Ihr Lieblingsfach?
LA: Ich bin seit 2022 an dieser Schule und bin aktuell in der Klasse 3Fa. Unser Klassenlehrer ist Herr Hoffmann. Mein Lieblingsfach ist natürlich Sport, aber auch die musischen Fächer gefallen mir sehr. Im Allgemeinen interessiere ich mich für den Bereich Gesundheit, weshalb ich auch Biologie und Chemie mag. Ausserhalb der Schule beschäftige ich mich hauptsächlich mit Sport: Ich fahre seit bald schon 10 Jahren Kanu.
NE: Ich bin in meinem ersten Jahr hier an der Kanti und bin Mitglied der Klasse 1Fb. Meine Lieblingsfächer sind in erster Linie Biologie, Chemie – alles, was mit Gesundheit und Naturwissenschaft zu tun hat. Wenn ich nicht an der Schule bin, spiele ich Unihockey.
Sind Sie beide schon seit Anfang Ihrer KSR-Karriere bei der Talenta?
LA: Ja.
NE: Ja.
Wie sind Sie zur Matura Talenta gekommen? Wie haben Sie davon erfahren? War die Möglichkeit, neben dem Unterricht Ihren Sport intensiv weiterbetreiben zu können, ein Faktor bei Ihrer Entscheidung, an die KSR zu kommen? Mussten Sie bestimmte Dokumente liefern, um ins Programm aufgenommen zu werden?
LA: In meinem Verein gibt es diverse Athleten, die bereits an der Kanti [GMS] waren. Für mich war aber relativ von Anfang an klar, dass ich die FMS im Berufsfeld Gesundheit besuchen wollte, da mein Traumberuf Hebamme ist. Durch meine Vereinskameradinnen und -kameraden habe ich dann erfahren, dass es dieses Programm gibt. Ich glaube, mein Jahrgang war einer der ersten, der auch die Möglichkeit hatte, die Talenta aus der FMS zu besuchen. Damals musste ich einen Plan mit meinen Trainingszeiten und Absenzen zusammenstellen und abgeben. Zusätzlich konnte ich auch eine «Talent Card» von Swiss Olympic vorweisen – quasi als Bestätigung, um dann ins Programm zu starten.
NE: Bevor ich in die FMS eingetreten bin, besuchte ich eine Unihockey-Sportschule, an welcher man sich zusammen mit den Coaches auch viel damit auseinandersetzt, wie es nach dem Abschluss der Sportschule weitergehen soll und welche Lösungen sich anbieten würden. Mit einer Freundin zusammen kam ich dann auf den Pfad der FMS in Kombination mit der Talenta Sport. Das Aufnahmeverfahren war sehr ähnlich wie bei Ladina: Wir mussten unsere Trainingszeitfenster und Abwesenheiten eingeben. Auch wir sind im Besitz einer «Talent Card».
Ladina, Sie sind jetzt seit drei Jahren Matura-Talenta-Schülerin. Was hat dies für Sie konkret bedeutet? Wie kann man sich einen typischen Monat oder ein typisches Semester vorstellen?
LA: Ich muss sagen, dass es jetzt im dritten Jahr nicht allzu aussergewöhnlich war. Allerdings hatte ich während den ersten beiden Jahren oft die Möglichkeit, zum Beispiel Projekte zu streichen, um dann trainieren gehen zu können. Wenn meine Klasse also beispielsweise an einem Montagnachmittag drei Lektionen Theater-Projekt hatte, war ich entweder im Kraftraum oder im Training auf dem Wasser. Da ich für Trainingseinheiten oder -lager oft nach Rapperswil (SG) musste – dort befindet sich quasi das nationale Trainingszentrum des Kanusports –, war es ein grosser Vorteil für mich, dass ich auch mal eine Woche im Unterricht fehlen konnte, ohne dass mir die Absenzen angerechnet wurden. Im letzten Jahr war es etwas anders: Ich konnte mich zwar weiterhin für Trainings etc. austragen, hatte aber nicht die Möglichkeit, Unterrichtselemente komplett zu streichen, da alle Fächer für den Abschluss relevant sind. In der GMS sieht das ja etwas anders aus: Dort kann man zum Beispiel das Fach Sport streichen, da die Note nicht abschlussrelevant ist.
Das bedeutet, Sie besuchen den regulären Sportunterricht?
LA: Ja. Ich glaube, theoretisch müsste ich nicht. Da es sich aber um ein promotionsrelevantes Fach handelt, in dem ich mir als Athletin relativ einfach eine gute Note sichern kann, wäre es strategisch ungeschickt, dem Sportunterricht fernzubleiben.
Noe, wie sieht es im Unihockey aus?
NE: Auch da profitiert man natürlich sehr davon, sich auch mal länger vom Unterricht abmelden zu können. Wir besuchen auch Trainingslager und neulich waren wir für ein Turnier drei Tage lang in Finnland.
Was hätte es für Sie bedeutet, wenn es die Talenta nicht gäbe?
LA: Sehr viel Verzicht im Sport. Es ist schlichtweg so, dass man ab einem gewissen Niveau im Sport mehr trainieren muss, was sich mit einem regulären Schulalltag kaum vereinbaren liesse. Entsprechend ist es umso wichtiger, diese Einheiten wahrnehmen und die Trainingslager besuchen zu können. Letztes Semester war ich für vier Wochen in Südafrika, drei davon während der regulären Schulzeit. Diese Wochen waren essenziell, um konzentriert und intensiv an Technik und Kraft zu arbeiten. Hätte ich anstatt dessen zur Schule gehen müssen, hätte ich gegenüber den anderen Athleten einen deutlichen Nachteil gehabt.
Hätte die Möglichkeit, am Talenta-Programm der KSR teilzunehmen, nicht bestanden bzw. gäbe es dieses gar nicht, wären Sie trotzdem in die FMS eingetreten, um Ihrem Traumberuf näher zu kommen?
LA: Ich glaube, ich hätte einen anderen Weg gewählt, denn es gibt heutzutage eine enorme Anzahl an Möglichkeiten, die man wahrnehmen kann, um schlussendlich studieren zu gehen. Ohne Talenta-Programm hätte ich wahrscheinlich eine Lehre gemacht, da viele Betriebe offen für eine Zusammenarbeit mit jungen Athletinnen und Athleten sind. Ausserdem gäbe es noch das Sport-KV in Kreuzlingen. Wahrscheinlich hätte ich mich also gegen die FMS entschieden, da es mir ansonsten zu viel geworden wäre.
Was wären die Alternativen nach Abschluss der Sportschule für Sie gewesen, Noe?
NE: Sehr viele aus meinem Jahrgang besuchen das Sport-KV an der «UNITED school of sports» [Berufsfachschule für Sporttalente]. Das wäre eine Variante gewesen. Ansonsten gäbe es aber auch Betriebe, die so eine Art «Sportlerlehre» anbieten.
In anderen Worten: Das Talenta-Programm war letztendlich entscheidend dafür, dass Sie sich für die KSR entschieden haben?
LA: Ja.
NE: Ja.
Gibt es nichtsdestotrotz Nachteile, wenn man Teil der Talenta ist?
LA: Es ist schon so, dass man sich immer wieder – sowohl von Mitschülerinnen und Mitschülern wie auch von Lehrpersonen – anhören muss, dass man nie da sei. Auch im Unterricht werden Sprüche in diese Richtung gemacht. Man muss ein Stück weit wohl damit leben, aber es ist nicht immer lustig. Ich habe auch den Eindruck, dass Lehrpersonen manchmal nicht nachvollziehen können, wie viel Aufwand hinter dem Ganzen steckt. Natürlich ist es auch nicht leicht, wenn man einmal länger abwesend ist, da man ja nicht aktiv am Unterricht teilnehmen kann und viel verpasst. Es ist nicht so, als würden die Lehrpersonen einem die Inhalte nachtragen. Meistens ist man darauf angewiesen, aktiv bei Mitschülerinnen und Mitschülern nachzufragen.
NE: Man muss schon viel selbstständig arbeiten, gerade wenn man gefehlt hat. Letztendlich auch, um auf den Stand der Mitschülerinnen und Mitschüler zu kommen.
Ladina, Sie hatten bereits angesprochen, dass es im Hinblick auf die promotionsrelevanten Fächer Unterschiede zwischen der Talenta Sport in der GMS und der FMS gibt. Gibt es weitere Unterschiede?
LA: Wie gesagt, in der GMS gibt es einzelne Fächer, die nicht promotionsrelevant sind, z. B. Sport. Auch lassen die strengeren Promotionsbedingungen in der FMS weniger Spielraum, um Fächer zu priorisieren. Wir können uns insgesamt weniger leisten, was die Angelegenheit durchaus anspruchsvoll gestalten kann.
Haben Sie das auch schon so festgestellt, Noe?
NE: Ja.
LA: Ansonsten scheint mir die Handhabung der Talenta Sport in der GMS und der FMS sehr ähnlich zu sein – auch wenn es das Programm in der GMS schon länger gibt.
Es bleibt Ihnen jetzt noch knapp eine Woche Unterricht und dann beginnen die Abschlussprüfungen. Sind Sie nervös?
LA: Ja, ziemlich. Da ich in letzter Zeit doch immer wieder weg war, habe ich diverse Repetitionseinheiten im Unterricht verpasst. Ich muss allerdings sagen, dass ich das Verpasste gut selbstständig aufarbeiten konnte. Dieses Semester sind aufgrund meiner vielen Absenzen auch die Noten allgemein etwas gesunken. Insgesamt glaube ich aber, nicht allzu viel verpasst zu haben, und die Bücher für den Abschluss kann ich auch lesen, wenn ich im Ausland am Trainieren bin. Es kommt am Schluss sehr auf die Selbstdisziplin an. Und ich glaube, diese ist bei jeder Sportlerin und jedem Sportler gut ausgeprägt. So kann ich auch den Zeitmangel wettmachen – andere Schülerinnen und Schüler kommen nachmittags nach der Schule nach Hause und haben viele Stunden Zeit, um zu lernen –, der durch meinen Sport entsteht. Sich organisieren zu können, ist das A und O im Sport.
Könnte man das auch als grossen Vorteil bezeichnen, dass Sie während des Durchlaufens dieses Programms gelernt haben, sich gut zu organisieren? Sehen Sie diese Fähigkeit auch als förderlich für Ihre schulische Laufbahn?
LA: Ja. Schlussendlich erlaubt mir diese Fähigkeit, den Sport auf diesem Niveau zu betreiben. Ansonsten müsste ich dableiben, während meine Teamkameradinnen und -kameraden weggehen, und das würde meiner Motivation schaden. Und wenn die Motivation fehlt, dann lernt man erst recht nicht, was letztendlich für die Schule auch nichts bringt. Es ist in diesem Sinne ein Geben und Nehmen.
Und hat sich diese Fähigkeit während Ihren drei Jahren hier verbessert oder waren Sie von Anfang an schon sehr organisiert?
LA: Es ist mindestens so, dass die Organisation wichtiger wurde, je höher ich im Kader aufstieg, da entsprechend die Anzahl Wettkämpfe zunahm und ich auch häufiger an internationalen Wettkämpfen ausserhalb der Schweiz teilnahm, ich also häufiger und länger abwesend war. Somit kann man schon behaupten, dass meine Organisationsfähigkeit und meine Selbstdisziplin in dieser Zeit gewachsen sind. In der FMS gibt es ausserdem noch die Praktika, die häufig während den Ferien und somit zeitgleich mit Trainingslagern stattfinden. Auch da gilt es, zusammen mit der Schule Lösungen zu finden. Es ist also gar nicht leicht, alles unter einen Hut zu bringen. Manchmal muss man auch aus Fehlern lernen, aber es ist durchaus möglich. Insgesamt bin ich heute sehr gut organisiert, auch verglichen mit meinem ersten Jahr.
Wie geht es weiter, wenn Sie hier fertig sind? Werden Sie weiterhin Kanu fahren? Brauchen Sie für Ihre weitere Ausbildung eine Fachmatura?
LA: Ja, genau. Ich machen nächstes Jahr im Spital in Wetzikon meine Fachmatura, natürlich auch um näher an Rapperswil zu sein. Ich werde auch dorthin ziehen, um mehr im Stützpunkt trainieren zu können. Es wird bestimmt auch da ganz schön anstrengend werden, die Arbeit und den Sport zu kombinieren, aber ich habe einen sehr sportfreundlichen Betrieb. Sie sind sehr offen und erlauben mir, unbezahlten Urlaub für Trainingslager zu nehmen. Das Kanufahren werden ich noch so lange wie möglich betreiben. Allerdings werde ich den Sport mit Beginn des Studiums nicht mehr auf diesem Niveau verfolgen können, weil das Hebammen-Studium nur in Vollzeit möglich ist und weil ich, ehrlich gesagt, auch nicht gut genug bin, um eine Karriere daraus zu machen. Vom Kanusport allein kann man leider ohnehin nicht leben. Es gibt Olympioniken, die mithilfe von Sponsoren u. Ä. über die Runden kommen, aber mit dem Sport allein geht das nicht.
Noe ist noch am Anfang Ihrer Karriere hier: Haben Sie Ratschläge an sie, aber auch an junge Menschen, die im August hier starten oder in Erwägung ziehen, an die KSR zu kommen? Gibt es «Dos» und «Don’ts»?
LA: Es ist sehr wichtig, gut mit dem Front Office und allen Lehrpersonen zu kommunizieren. Man sollte auch mittel- und langfristig vorausplanen und vorzeitig mitteilen, wenn man abwesend sein wird – nur eine Woche im Voraus wäre nicht optimal. Wenn man Anliegen hat, kann man auch auf Herrn Herzog und Frau Deiss zugehen. Mit ihnen kann man wirklich hervorragend kommunizieren und sie helfen einem. Denjenigen, die noch in der Sekundarschule sind und sich überlegen, diesen Pfad einzuschlagen, rate ich, diese Chance wahrzunehmen, denn man kann weiterhin intensiv seinen Sport betreiben und gleichzeitig eine gute schulische Ausbildung absolvieren. Man muss nicht auf das verzichten, was einem wirklich Spass macht, und das ist schlussendlich wohl das Wichtigste.
Was sollte man lieber unterlassen?
LA: Man muss sich bewusst sein, dass man trotz allem an einer Schule ist und auch dort Leistungen erbringen muss, was, verglichen mit Teamkolleginnen und -kollegen, die einen anderen Weg gewählt haben, mit mehr Aufwand verbunden ist. Ich denke, es geht oft vergessen, dass man viel Schulstoff nacharbeiten muss. Wirkliche «No-Gos» gibt es aber in diesem Sinne nicht.
Wie sieht es bei Ihnen aus, Noe? Was streben Sie nach Ihrem FMS-Abschluss an?
NE: Ich möchte in Richtung Physiotherapie gehen, was auch mit einem Vollzeitstudium verbunden wäre. Leider kann man auch im Unihockey nicht vom Sport allein leben; auch in Ländern wie Schweden oder Finnland nicht. Man verdient zwar Geld, aber nicht ausreichend, um Karriere als Profisportlerin machen zu können.
Zu guter Letzt: Haben Sie noch abschliessende Kommentare oder Botschaften an die Lehrpersonen, die Schülerinnen und Schüler oder die Schulleitung?
LA: Ich habe vorhin vergessen zu erwähnen, dass man als Talenta-Schülerin oder -Schüler auch die Möglichkeit hat, mit Carlo [Zanetti] zusammenzuarbeiten. Natürlich kommt es ein wenig auf die Sportart an, aber es kann ein riesiger Vorteil sein, an seinen Trainings teilzunehmen. Er erstellt Trainingspläne, man arbeitet mit ihm in Gruppen zusammen, er führt in den Kraftraum ein und man hat dann auch mehr Geräte als die anderen zu Verfügung.
Ansonsten würde ich die Lehrpersonen um etwas mehr Verständnis und Rücksicht bitten. Natürlich haben wir eine Holschuld, aber es kann manchmal vorkommen, dass so viel los ist, dass man das eine oder andere vergisst. In solchen Situationen wäre es toll, wenn die Lehrpersonen auf einen zukommen würden.
Text: Gabriele Desantis
Bilder: vielioertle & Raphael Muff
Gabriele Desantis, 11.06.2025